Lebensschutz in Rheinland-Pfalz

Aktive Sterbehilfe - Situation in den Niederlanden

Die Gesetzeslage zur aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden seit 2002

In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe seit dem 1. April 2002 zulässig. Holland ist somit das erste Land der Welt, in dem die aktive Sterbehilfe legalisiert wurde. Damit der tötende Arzt straffrei dem schriftlich niedergelegten oder mündlich ausgesprochenem Wunsch nach Sterbehilfe entsprechen darf, muss er gemäß den nachfolgenden Sorgfaltskriterien handeln:

  1. Er muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Patient seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung geäußert hat.
  2. Er muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass keine Aussicht auf Besserung besteht und der Patient unerträglich leidet.
  3. Er muss den Patienten über dessen Situation und über die medizinische Prognose aufgeklärt haben.
  4. Er muss mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt sein, dass es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gibt.
  5. Er muss mindestens einen anderen, unabhängigen (Konsiliar)arzt zu Rate ziehen, welcher den Patienten untersucht und schriftlich zur Einhaltung der Punkte 1. bis 4. Stellung nimmt.
  6. Er muss die Tötung oder die Hilfe zur Selbsttötung fachgerecht durchführen.

Arzt und Leichenbeschauer melden die Tötung an eine regionale Kontrollkommission, der auch die Erklärung des unabhängigen Konsiliararztes zugeht. Die Kontrollkommission überprüft die Tötung auf Einhaltung der Sorgfaltskriterien. Gelangt sie zu der Überzeugung, dass der Arzt sorgfältig gehandelt hat, greift der Strafausschließungsgrund und der Arzt wird nicht strafrechtlich verfolgt. Der Kontrollkommission gehören sechs Mitglieder, hierunter mindestens ein Arzt, ein Jurist und ein Ethiker an.

Der Wunsch nach Sterbehilfe ist nicht an die Volljährigkeit (18 Jahre) gebunden, auch Minderjährige können die aktive Sterbehilfe beanspruchen, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten (12 bis 15 Jahre) oder eine Einbeziehung der Erziehungsberechtigten in die Entscheidungsfindung (16 und 17 Jahre) erfolgt ist.

Kein Arzt ist in Holland verpflichtet, die aktive Sterbehilfe durchzuführen. Medizinische Hilfskräfte dürfen selber keine Tötungshandlungen durchführen und sind ebenfalls nicht verpflichtet, an einer Tötungshandlung mit zu wirken.

Die Realität der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden

Entgegen den Erwartungen haben sich seit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Holland die Anzahl der Tötungen nicht stabilisiert, sondern sie sind in den letzten Jahren (2007 bis 2019) stark angestiegen. Nachfolgend die Todeszahlen aus dem Jahresbericht der Regionalen Kontrollkommission für Sterbehilfe (RTE).

Sterbehilfefälle in den Niederlanden (Quelle: Regionale Kontrollkommissionen für Sterbehilfe)
Art der Sterbehilfe / Jahr2007200820092010201120122013
aktive ärztliche Sterbehilfe1.9232.1462.4432.9103.4463.9654.501
ärztliche Suizidbeihilfe167152156182196185286
Kombination aus ärztlicher Sterbehilfe und Suizidbeihilfe30333744533842
Summe aller Tötungen2.1232.3312.6363.1363.6954.1884.829
Anstieg--+9,8%+13,1%+19,0%+17,8%+13,3%+15,3%
Sterbehilfefälle in den Niederlanden (Quelle: Regionale Kontrollkommissionen für Sterbehilfe)
Art der Sterbehilfe / Jahr2014201520162017201820192020
aktive ärztliche Sterbehilfe 5.033 5.277 5.856 6.306 5.898 6.092
ärztliche Suizidbeihilfe 242 208 216 250 212 245
Kombination aus ärztlicher Sterbehilfe und Suizidbeihilfe 31 33 19 29 16 24
Summe aller Tötungen 5.306 5.516 6.091 6.585 6.126 6.361
Anstieg +9,9 % +4,0 % +10,4 % +8,1 % -7,0 % +3,8 %

Dies ist eine deutliche Warnung, dass in der Gesellschaft ein Gewöhnungseffekt eintritt, sobald eine Rechtsbarriere eingerissen wurde. Dies zeigt der stetige Anstieg der Tötungen, welche inzwischen 4 % der Todesfälle in Holland ausmachen. Auch gibt es immer wieder Fälle, in denen der Arzt selbst die liberalen Sorgfaltskriterien verletzt hat, was die Kommission aber immer nur im Rückblick, d.h. wenn die Tötung des Patienten bereits erfolgt ist, feststellen kann.

Einige Holländer tragen inzwischen sogar eine so genannte Credo Card mit der Aufschrift "Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht, Doktor" bei sich, um nicht "versehentlich" euthanasiert zu werden. So wurde Sterbehilfe in Holland häufig aus falsch verstandenem Mitleid auch ohne expliziten Wunsch des Getöteten durchgeführt. Dies hat eine Umfrage unter niederländischen Ärzten (siehe "Euthanasia and other end-of-life decisions in the Netherlands", The Lancet 08/2003) gezeigt, so wurden im Jahr 2001, d.h. vor der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, von Ärzten in den Niederlanden 983 Menschen euthanasiert, ohne dass eine Anforderung des Patienten vorlag.

Inzwischen wurde in den Niederlanden sogar für eine schwer demenzkranke Frau aktive Sterbehilfe geleistet (Quelle: aerzteblatt.de, 19.02.2012), inweit dies mit den Sorgfaltkriterien in Einklang gebracht werden konnte, bleibt fraglich. Um wirklich jedem einen einfachen Zugang zur aktiven Sterbehilfe zu ermöglichen, wird es ab März 2012 in Holland zusätzlich eine Sterbeklinik und sechs ambulante Euthanasieteams (Quelle: aerzteblatt.de, 07.02.2012) geben, deren Aufgabe die Tötung von Menschen durch aktive Sterbehilfe sein wird.

Letzte Änderung: 06.04.2021